Friedhofswesen in Gehrden / Bestattungen im Laufe der Zeit

 

(Ausarbeitung von Walther Heine, Gehrden   - Stand Feb. 2020)

Allgemeine Entwicklungsgeschichte von Friedhöfen in Deutschland         *)


In Deutschland kann heute individuelle Wahl des Friedhofes, der Bestattungsart, sowie der Grabstätte nur im Rahmen der vorgegebenen Bestattungsmöglichkeiten erfolgen, welche wiederum Bestattungsgesetzen, sowie den Friedhofssatzungen unterliegen. Die Bestattungsmöglichkeiten bzw. das Bestattungsangebot sind somit in der Vergangenheit an gesetzte Rahmenbedingungen gebunden.

Der Betrachtung der Entwicklungsgeschichte der Friedhofs-, Bestattungs- und Grabstätten Wahl vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert in Deutschland beschränkt sich auf die christliche Friedhofs- und Bestattungskultur, da die heidnischen Bestattungsriten der germanischen Stämme für die Erläuterung der neuzeitlichen und heutigen Bestattungsnachfrage praktisch keine Rolle spielen. In anderen europäischen Ländern kann hingegen eine Rückbesinnung auf vorchristliche Bestattungsriten festgestellt werden.


Die christliche Friedhofs- und Bestattungskultur *)


Die heutige Friedhofs- und Bestattungskultur in Deutschland ist stark von der christlichen Religion geprägt. Bereits im Frühmittelalter ab 600 n.Chr. hatten die Kirchen mit der Anlage kollektiver Grabplätze um die Pfarrkirchen herum (Kirchhöfe) ein 'Monopol' auf das Friedhofs- und Bestattungswesen erlangt und damit die familiäre Verpflichtung zu Grabvorsorge, wie sie bei den heidnischen Bestattungsriten noch üblich war, abgelöst. Hiermit lag die Auswahl des Bestattungsortes nicht mehr im Ermessen der Hinterbliebenen. Auch war das Verbrennen des Leichnams nach den christlichen Glaubensregeln verboten und wurde im 9. Jahrhundert von Karl dem Großen unter Strafe gestellt. Gleiches galt seitdem für die Bestattung auf heidnischen Familiengrabstätten. Der somit bestehende Friedhofszwang ist noch heute in den Bestattungsgesetzen verankert. Die christlichen Bestattungsformen entwickelten sich aus biblisch-israelischen und antiken Traditionen. Während jedoch im antiken Rom sowohl die Erdbestattung als auch Leichenverbrennung bekannt gewesen waren, duldete das Christentum allein das Begraben des Leichnams - die Feuerbestattung hingegen wurde als >heidnisch< tabuisiert. Für dieses Verbot sorgten unter anderem der Glaube an die leibliche Auferstehung und der Reliquienkult, der mit der Verehrung der Märtyrergebeine in der Alten Kirche begonnen hatte.


*) Auszug aus Dissertation Martin Venne, Universität Kassel 2010


Die nachfolgenden Beiträge zur Friedhofsgeschichte in Gehrden wurden akribisch erarbeitet. Dabei kam neben den klassischen Merkmalen eines Friedhofs, wie zum Beispiel der Entzifferung von alten Grabsteinen, auch Überraschendes zu Tage. Das Friedhofswesen ist Bestandteil unserer Kultur und gehört somit zur Lebensrealität dazu. In diesem Sinne ist eine Auseinandersetzung mit dem ernsten Thema eine Bereicherung für alle Interessierten.


Einleitung mit Bezug zu Gehrden des ehemaligen Pastor Glasenapp:


Herr Pastor Glasenapp, der in den 60er Jahren Pastor in Gehrden war hat eindrucksvoll über die Geschichte des Friedhofswesens wie folgt berichtet:


Der Weg über den Kirchhof sollte unsere Gedanken mit Ehrfurcht und Pietät erfüllen. Hier haben die Gehrdener Bürger Jahrhunderte hindurch ihre Entschlafenen begraben, ja auch im Kirchenraum selbst hat man Tote bestattet. Davon zeugen die Grabplatten außerhalb der Kirche.

Der Weg zum Gottesdienst führte die Kirchgänger an Gräbern und Grabsteinen, stumme Zeugen für die Vergänglichkeit des Menschen, vorüber und erinnerte sie eindringlich daran, dass auch sie sterben müssen und ihrem letzten Stündlein entgegengehen.


Um 1850 war der Kirchhof derart überfüllt, dass man beim Herrichten neuer Gräber immer wieder auf Gebeine stieß, und als die Kirchstraße verbreitert und die jetzige Mauer errichtet wurde, war es ein schlimmer Anblick, als die vielen Totengebeine zum Vorschein kamen. So entschloss man sich, den neuen Friedhof außerhalb des Fleckens zu verlegen. Gewiss, es musste sein, es war nützlich und notwendig, aber es wurde auch der bisherige Zusammenhang von Kirche und Friedhof auseinandergerissen. Am 28. Juli 1850 weihte Pastor Habbe den Friedhof an der Levester Straße ein.


Eine Kapelle zur Aufbewahrung der Leichen wurde ebenfalls 1850 gebaut. Sie war klein und bot nur wenig Teilnehmern Platz. Sie wurde auch nur selten in Anspruch genommen, weil die Beerdigungen im Trauerhaus begannen. Die Trauergäste begleiteten den Leichenwagen mit dem Sarg durch den Ort. Dann folgte die Beerdigung, und danach war in alter Zeit die Trauerfeier in der Kirche. Diese Trauerfeier wurde später in das Trauerhaus (Wohnhaus des Verstorbenen) verlegt.

Bestattungen in Gehrden fanden nachfolgender Weise statt: Der Trauerzug formierte sich vor dem Trauerhaus, wobei der Pastor an einem geeigneten Platz den Leichenzug empfing und den Leichenwagen bis zum Eingang des Friedhofs begleitete. Am Eingang des Friedhofs wurde gehalten. Der Pastor betrat als erster den Friedhof und sprach zunächst zu den Trägern und zum Gefolge. Nun führte der Totengräber den Zug bis zur Grabstelle. Der Sarg wurde versenkt der Pastor sprach die Beerdigungsformel und warf dreimal Erde in das Grab.

Mit einem Segensspruch schloss der Pastor die Handlung. Danach gingen die Trauergäste in die Kapelle oder in die Kirche, wo der Kantor und zehn bis zwölf älteren Schüler sich bereits eingefunden hatten. Es wurde ein Lied gesungen. Der Pastor begann mit Gebet, verlas ein Bibelwort und hielt die Predigt. Danach verlas er den 90. Psalm, das Glaubensbekenntnis und schloss mit dem Vaterunser, dem Segen und Schlussvers.

In die Dörfer kamen die Pastoren zur Beerdigung nur auf ausdrücklichen Wunsch der Gemeindemitglieder. Dort wurde die Leiche unter Gesang des Dorflehrers und der Schuljugend vom Sterbebett abgeholt. Der Gottesdienst fand anschließend in der Kapelle statt.


Später, auch noch in meiner Jugendzeit, fanden die meisten Beerdigungen von Haus aus statt. Beerdigungsinstitute gab es noch nicht.


Die sogenannte Totenfrau sorgte für alles, was im Trauerfall zu erledigen war. Dazu gehörte das Einsargen mit den nötigen Vorbereitungen, Besorgen der erforderlichen Unterlagen vom Rathaus, Terminabsprachen mit dem Friedhofsamt, Pastor, Sargträger, Grabausherber und Leichenwagenbesitzer. 


Ebenso übernahm sie das sogenannte Ansagen, also Unterrichten der Nachbarn und Bekannten im Ort über den Sterbefall und Bestattungstermin. Bei der Beerdigung führte sie mit einem Kranz in der Hand den Leichenzug an.

Wurden Mitglieder eines Vereins oder der Feuerwehr, die eine Musikkapelle hatten, beerdigt, marschierte die Kapelle mit den Vereinsmitgliedern vor dem Trauerzug und spielten Choräle oder andere Trauermusik.

Hierzu eine Anmerkung, die ruhig erwähnt werden kann, weil sie noch viele miterlebt haben. Und zwar stellten die Musiker das Schlagzeug der Kapelle vor dem Friedhof auf dem Hof Bolte ab. Kamen sie nach der Bestattung vom Friedhof zurück, spielten sie noch einen Trauermarsch. Aber ab Boltes Hof kam das Schlagzeug dazu, und mit schwungvoller Marschmusik ging es in die Stadt zum anschließenden sogenannten Leichenschmaus mit Mettbrötchen und Bier in einer Gaststätte. Erst ab den sechziger Jahren änderte sich vieles. Den Leichenwagen mit Pferden gab es nicht mehr, dafür Auto mit Leichenwagenanhänger und dann das Leichenauto. Zeitweise gab es in Gehrden 3 Bestattungsunternehmen.

Gewiss, der Trauerzug war ein kurzes Verkehrshindernis. Aber es ist, als ob Sterben und Trauer irgendwie aus dem Leben verbannt zu sein scheinen. Mag sein, dass es Menschen gibt, die keinen Friedhof sehen können, aber ist das nicht Selbstbetrug? Früher gehörte diese dunkle Seite mitten in das Leben der Menschen hinein. Die Leute blieben am Straßenrand ehrfürchtig stehen. Die Männer zogen ihren Hut vom Kopfe und gaben damit dem Verstorbenen die Ehre und verneigten sich vor der Majestät des Todes. Die Zeit geht weiter, wir können sie nicht zurückdrehen.

Seit wann es in Gehrden einen Leichenwagen gab, ist nicht bekannt. In alten Unterlagen der Dörfer ist zu lesen, dass die Unbespannten, wie man früher Familien ohne eigenes Fuhrwerk nannte, sich auf eigene Kosten einen Wagen für die letzte Fahrt ihres Verstorbenen beschaffen mussten.


Erinnerungen von Ernst Mittendorf


Über Leichenwagen hier vor Ort habe ich Erinnerungen durch Erzählungen meines Vaters und von eigenen Erlebnissen in Gehrden zwischen l938 bis 1960, aus dem Gedächtnis und von Erzählungen. In den zwanziger Jahren kam mein Vater mit Familie aus Gleidingen, um in Gehrden den verhältnismäßig kleinen landwirtschaftlichen Betrieb der Schwiegereltern zu übernehmen.

lang dieser Zeit hatte Gehrden einen Leichenwagen. Eigentümer war ein Viehhändler ohne eigene Pferde, um den Wagen zu fahren. Mein Vater war bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Passende Pferde waren vorhanden, ein Unterstand für den Wagen musste gebaut und finanzielle Dinge für die Benutzung vereinbart werden. Der Eigentümer kürzte den finanziellen Anteil nach kurzer Zeit ohne Grund. Aus Verärgerung stellte mein Vater den Leichenwagen auf das Grundstück des Eigentümers und löste so die Vereinbarung. Dieser verkaufte den Wagen nach außerhalb. Folglich gab es in Gehrden keinen Leichenwagen.

Zu dieser Zeit war der neue Besitzer der Franzburg, Ottomar von Reden, auch gerade aus Gleidingen kommend, in Gehrden ansässig. Er kannte meinen Vater schon aus Gleidingen. Sie trafen sich um das Thema Leichenwagen zu besprechen.

Ergebnis: Herr von Reden hatte bei dem Kauf der Franzburg einen Landauer, also eine große überdachte Kutsche, vollgummibereift mit großzügigem Kutscherbock, passenden Pferdegeschirr und Pferdedecken übernommen. Er stellte dieses Gefährt mit allem Drum und Dran als Grundlage für einen neuen Leichenwagen zur Diskussion und eventuell zur Verfügung. Er benötige den Landauer nicht mehr. Pläne für einen Umbau zum Leichenwagen wurden gemacht. Sie waren sich einig. Wir haben in Gehrden viele gute Handwerker, die können das und machen das. Eine gute Idee. Tischler Fritz Krull, Schmied Fritz Eike, Maler Friedrich Meyer und Sattler-Polsterer Friedrich Lieker waren bereit, die erforderlichen Arbeiten auszuführen.

Mein Vater wurde Eigentümer der Kutsche und erteilte Aufträge zum Umbauen. Alles geschah auf dem Hof Mittendorf mit dem Wagen und eigenen Pferden über 30 Jahre, und ab ca. 1960, als wir keine Pferde mehr hatten, fuhren mit Herrn Adolf Grethe und seinen Pferden die Verstorbenen zur letzten Ruhestätte. Eine neue Zeit mit Auto und Leichenwagenanhänger begann, gefolgt vom Leichenauto, wie wir es vom Bestattungsunternehmen bis heute kennen.


Interessante statistische Daten


Gehrden hatte um 1850:

1545 Einwohner 
1299 Lutheraner,
102 Juden und

58 Katholiken.
 
Akte 1890 Begräbnisverordnung:

Beförderung der Leichen vom Sterbebett zur Grabstätte wurde nur mit einem besonderen Leichenwagen vorgenommen, 1896 wurde die Verordnung aufgehoben.


Akte von1761 Vogtei Ronnenberg:

Totgeborene Kinder wurden in der Regel vom Vater und ein paar Helfern abends begraben.
 

Akte von 1808:

Selbstmörder wurden am Rande der Friedhofsmauer begraben.



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