Auszug aus
Gelbe Heft Gehrden Nr. 28
Gehrden zu Lyras Zeiten 
von Dieter Mahlert

Gehrden zu Lyras Zeiten (1877 – 1882)
 Beitrag von Dieter Mahlert

1877 zog Justus Wilhelm Lyra mit seiner Frau Isabelle von Bevensen nach Gehrden. Der Ortsplan und die Bilderchronik zeigen unseren (Markt-) Flecken wie er damals aussah. Die im Folgenden abgebildeten Gebäude hat also auch das Ehepaar Lyra schon gesehen.
Der Umriss des mittelalterlichen Stadtgebietes ist auf diesem Plan von 1853 deutlich zu erkennen. Der Wächterweg hinter den Häusern / vor den Gärten besteht noch in seiner vollen Länge und markiert so den Verlauf der frühen Stadtbefestigung.
Auffallend ist das große unbebaute Grundstück an der Alten Straße. Hier hat bis ca. 1650 das Castrum der Herren von Suersen gestanden. Die eingezeichneten Gebäude sind die Arbeiterhäuser der Franzburg.
Die Ansätze für neue Straßenzüge sind zu erkennen: Gartenstraße, Große Bergstraße, Dammtor, Brauereiweg.

Rund um die Kirche
Die evangelische St. Margarethenkirche ist das älteste Gebäude in Gehrden – sie ist gut an ihrem Treppengiebel mit Dachreiter zu erkennen. Das Kirchenschiff zeigt nach Osten, der Turm steht im Westen. Rund um die Kirche liegt der ehemalige Friedhof, der noch Teile des alten Baumbestandes und wertvolle alte Grabsteine aus dem 16. und 17. Jahrhundert besitzt.
Ältester Bauteil der Kirche ist der Turm aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts. Er ist aus mächtigen Quadern auf reich profiliertem Sockel errichtet. Zwischen Lisenen (= senkrechte, vorspringende Mauerstreifen) spannen sich zwei waagerechte Bogenfriese, die das untere Turmgeschoss in der Höhe gliedern. Auf der Ost- und Westseite sind Schallöffnungen mit Teilungspfeilern eingelassen. Neben den Rundbögen über Türen und Fenstern sind Bogenfries und Lisenen typische Bauteile des romanischen Stils.
Der Kirchturm erhielt seinen charakteristischen (gotischen) Treppengiebel vermutlich Ende des 15. Jahrhunderts. 1674 kam ein neuer Glockenstuhl dazu und 1679 wurde der Dachreiter aufgesetzt, der 1925 /26 erneuert werden musste. Das ebenfalls aus Gehrdener Bruchsteinen (Gehrdener Luffen = Sediment / Kalksteine aus der Oberkreide-Zeit; über 80 Mio. Jahre alt) gebaute gotische Schiff mit Satteldach wird von kurzen Strebepfeilern gestützt.
Im Süden wurde das Kirchenschiff durch einen querarmähnlichen Anbau (1909) und im Norden durch die Sakristei unter einem Pultdach erweitert. Bei der Sakristei handelt es sich um eine Kapelle für den Pastor der 2. Pfarrstelle (Baujahr ca 1400.

Altes Pfarrhaus (Kirchstraße 4)
Das alte Pfarrhaus in der Kirchstraße ist ein eingeschossiger Ziegelbau auf einem Sockel aus gequaderten Sandsteinen. Gebaut wurde das Haus von 1847 bis 1849. Hier wohnte und wirkte das Ehepaar Lyra seit 1877. 1896 wurde die Gedenktafel (gestiftet von der Singakademie Hannover) am alten Pfarrhaus angebracht.

Die Lyrabank 
wurde 1912 am Osthang des Gehrdener Berges oberhalb des Felsenkellers aufgestellt (s.o.). 1966 wurde sie in den Franzburger Park versetzt. Seit 1992 steht die Bank im Stadtzentrum auf dem alten Friedhof neben der Margarethenkirche.

Die Weiße Schule (Volksschule, Nedderntor)
Im Jahre 1874 war die neue (sog. Weiße) Schule nach längerer vorhergehender Diskussion und Bauphase fertiggestellt. Der Lehrer der „Mittelklasse“ (3. + 4. Klasse) konnte seine Wohnung im neuen Schulgebäude beziehen und die Schüler seiner Klasse folgten ihm nach den Michaelisferien (heute: Herbstferien) Ende September/Anfang Oktober 1874. Insgesamt unterrichteten vier Lehrer an der Schule
Der Name „Weiße Schule“ bezog sich auf ihr Aussehen: Das Gebäude war weiß gestrichen im Gegensatz zur daneben gebauten „Roten Schule“ (Baujahr 1901) aus rotem Backstein. Dieses Schulgebäude hat bis heute sein ursprüngliches Äußeres bewahrt.
Die Schulaufsicht lag in den Händen der ev. Kirche. 1878 übernahm Pastor Lyra als Ortsschulinspektor diese Aufgabe. Zu seiner Zeit gingen alle Gehrdener Kinder in diese Schule.  1972 wurde die Weiße Schule abgerissen.

Evangelischer Kindergarten (Nedderntor)
Der evangelische Kindergarten wurde durch eine Stiftung gegründet und am 4.6.1879 unter Anwesenheit von Vertretern der Kirche und des Magistrats von Pastor Lyra eingeweiht.

Kapelle auf dem neuen ev. Friedhof (1850)
Im Jahre 1850 war endgültig Schluss! Der Kirchhof neben der Margarethenkirche konnte keine Toten mehr aufnehmen. Bei der Aushebung neuer Gräber stieß man regelmäßig auf die Gebeine früher Verstorbener. Der lang gehegte Wunsch, den neuen Friedhof außerhalb des Fleckens anzulegen, wurde Wirklichkeit.

Vom Schulhaus zum Rathaus
Das zweistöckige Fachwerkhaus (Bildmitte) wurde 1820 als Schule (= Alte Schule) errichtet. Diese Funktion hatte es bis 1874 inne – dann wurde es zum Rathaus des Fleckens Gehrden. So kannte also Pastor Lyra das Haus.

Rund um den Marktplatz: Der Ratskeller
Die erste Erwähnung des Ratskellers geschieht in der Urkunde des Jahres 1586. Sie nennt „Keller und Gildestedte oder Schenke“. Das Calenberger Lagerbuch von 1681 bestätigt, dass der Ratskeller den Gehrdenern gehört

Impressionen vom Steinweg, Die Bäckerei Pook
Das Vierständerhaus mit zweigeschossigem Wohnteil nach vorn wurde nach dem großen Brand vor 1800 gebaut.

Hof Knölke
 -Am Markt 3 – gehörte ursprünglich der Familie Struckmeyer. Zu Lyras Zeit führte Daniel Conrad Heinrich Struckmeyer als Vollmeier den Hof. 1891 wurde der Hof an Philipp Knölke verkauft

Erste Gehrdener Postamt (1866)
Der Steinweg entwickelte sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Wohn- und Geschäftsstraße. Aufwendigstes Bauwerk aus dieser Zeit ist der zweigeschossige Putzbau Steinweg 14. Kranzgesimse, Lisenen, rundbogige Fenster- und Türöffnungen unter kleinen Verdachungen gliedern das gedrungen wirkende Bauwerk streng symmetrisch (Hannoverscher Rundbogenstil).

Bäckerei Gehrke (Haus Nr.16; Baujahr 1743) 
ist heute war eines der letzten Fachwerkhäuser am Steinweg
So kannten die Lyras die Dammstraße.
In den Jahren 1762 und 1763 kam es zu großen Bränden in der Dammstraße. Dazu heißt es in der Chronik: „Den 9. Juny abends gegen 9 Uhr hat ein schweres Gewitter allhier auf dem Damme…eingeschlagen und gezündet, wodurch binnen 2 Minuten dieses und seines Nachbars Häuser in volle Flamme gesetzet, welche so geschwind um sich gegriffen, daß in wenig Stunden 11 Häuser völlig in die Asche geleget.“
Der Brand ein Jahr später wurde wahrscheinlich durch unvorsichtigen Gebrauch offenen Feuers ausgelöst.
Das Haus Dammstraße 1(s.o.) war 1763 schon wieder errichtet. Ein holzgeschnitzter Vers erinnert an die Brandkatastrophe:
…….1762 hat Gott durch seiner Allmacht Hand / mein altes Haus mit Feuer verbrannt. / Gott wolle dies und eines jeden dafür bewahren / daß wir nach viel und langen Jahren / ihn dafür zu danken haben……….

Rittergut Franzburg (1780)
Das Herrenhaus des ehemaligen Rittergutes Franzburg wurde 1967 abgerissen. Nach Meinung der zuständigen Fachleute war es baufällig - eine Renovierung wurde nicht erwogen. 
Aus heutiger Sicht ist die Entscheidung aus den 60er Jahren zu bedauern. Die Franzburg war nämlich das einzige Gebäude in Gehrden, das 1780 im klassizistischen Stil errichtet worden war. 
Vorläufer des oben abgebildeten Herrenhauses war das Castrum des Franz von Reden (um 1650) – daher stammte der Name Franzburg. 
Heute erinnert ein Gedenkraum im Schützenhaus sowohl an das alte Herrenhaus als auch an die Familie von Reden und den letzten Besitzer der Franzburg Ottomar von Reden (1888-1959)

Franzburger Friedhof (1872)
Über den idyllisch gelegenen Franzburger Kirchhof ist zu lesen:
……„Dieser Begräbnisplatz lehnt sich an die Forst an mit freier Aussicht auf die dorfbesäte Ebene nach Hannover hin; die bauliche Anlage dieses schönen Platzes erinnert an das Bild einer Klosterruine, deren Gärtchen oder Hof würdig befunden ist, seinem jetzigen Zwecke zu dienen; zwei mächtige wohlerhaltene Leichensteine aus dem 15. Jahrhundert zieren den Eingang durch die mit einem Kreuze geschmückte Überwölbung des Tores.
Dieser Begräbnisplatz ist 1872 errichtet von dem jetzigen Besitzer Franzburgs kurz vor dem Tode seiner hochbetagten Eltern, weil das unter dem Chor der Kirche zu Gehrden gelegene Gewölbe seiner würdigen Bestimmung nicht entsprach.“……
 
Quelle: Die Rittergüter der Fürstentümer Calenberg, Göttingen und Grubenhagen, Osnabrück 1912

Seemanns Ziegelei (1872)
Die Ziegelei wurde im Jahr 1872 von den Brüdern Carl und Friedrich Seemann aus Wennigsen gegründet. Das Material für die Ziegelherstellung lieferte der Ton aus der unteren Kreidezeit, der aber zu fett war und durch Zusatz von Lehm und Sand gemagert werden musste. Nur so konnten die Steine ordentlich gebrannt werden.
Von dem anfänglichen Handbetrieb ging man bald zum Maschinenbetrieb mit einem kleinen Ringofen über. Friedrich Seemann schaffte in den neunziger Jahren größere Arbeitsmaschinen und 1892 den großen Ringofen mit einem Fassungsvermögen von 175 000 Normalsteinen an.
Diese wurden bei einer Temperatur von 900 – 1 000 Grad gebrannt. Die Brennzeit mit Anwärmen, Hochbrand und Abkühlen dauerte 10 – 12 Tage. Das Feuer beschickte ein selbsttätiger Schüttelapparat über dem Ofen mit Siebkohle.

Zuckerfabrik Neuwerk (1857)
Das Jahr 1857 hat in der Geschichte unseres Ortes eine besondere Bedeutung. In diesem Jahr zog die Industrie in Gehrden ein. Am 25. August 1857 kaufte der Kaufmann Victor Ludwig Wrede aus Berlin als Geschäftsführer der neu zu errichtenden Rübenzuckerfabrik Neuwerk von dem Erbzinsmüller Johann Heinrich Conrad Engelke die Spehrsmühle mit den dazu gehörenden Ländereien von 7 Morgen und 102 Ruten nebst dem Recht, das Wasser des Spehrsbaches und der im Stollen entspringenden Quelle zu benutzen. Der Kaufpreis betrug 5.500 Thaler.
In einer Anzeige im Hannoverschen Courier vom 19. August 1857 wurden die Teilnehmer (Aktionäre) aufgefordert, die beiden ersten Raten ihrer Aktien einzuzahlen. Jede Aktie lautete über 500 Thaler. Das Aktienkapital betrug 300 000 Thaler.

Gedicht von J.W. Lyra
zur Einweihung der 
Struckmeyerschen Mühle (1878)

Mit Gunst
Bis hierher hat uns Gott gebracht
nichts ist getan durch unsere Macht;
umsonst ist ohne Gottes Sorgen
all unser Tun so heut als morgen.
An Gottes Segen ist alles gelegen
bei groß und kleinem Werk deswegen
sei hier vor Groß und Klein verkündet:
Wir haben auf festen Grund gegründet;
denn wer dem Allerhöchsten traut,
hat niemals auf den Sand gebaut.
Der Windmüller zwar baut in den Wind
da oben wo Felsen im Grunde sind.
Der Windmüller baut wohl einen Turm,
zu trotzen dem Wetter und dem Sturm,
doch hat zuvor auch überschlagen,
ob er die Kosten vermöge zu tragen.
Mit Kunst und mit Fleiß ist der Turmbau zustande
gebracht und beschaut sich vergnüglich die Lande.
Er schaut soweit nur das Auge will reichen
und suchet vergeblich nach seines gleichen.
Zwar drehen gar lustig im Tal und am Hügel
rings die Gebrüder im Kreise die Flügel.
Doch keiner kommt wirklich um eine Elle
mit Drehen und Fliegen von seiner Stelle.
Wie lang ihr auch dehnet ihr Müller und reckt
das Fleckchen was Struckmeyers Vater entdeckt.
Am Gehrdener Berge, das müsst ihr ihm lassen,
das sollte wohl jedem zum Müllerwerk passen.
Hier schaut zur Rechten und Linken der Wald
und dort des Gebirges dunkle Gestalt.
Dazwischen die Fluren der Dörfer in Pracht,
dazwischen die Hauptstadt gen Mitternacht;
und pfeift auch der Wind hier um Ohren und Nasen,
dann weiß ich zu sagen woher er geblasen. –
In Lüften auch sehet überall blitzen
die schwarzen und rötlichen Kirchturmspitzen,
mit Giebeln und Erkern, mit Kreuz und mit Hahn,
etwelche mit schwankender Wetterfahn.
Die Glocken von Ferne, die höre ich gerne
beim Sonnenschein heute, beim Scheine der Sterne.
Wenn Christnachtsgeläute die Schluchten entlang
verhallet am schneeigen Bergeshang;
dann lüftet der Müller auf freiem Gipfel
des deutschen Berges andächtig den Zipfel
der Mütz und gedenkt im grauen Wams
der grauen Geschichte vom Lande Harms.
Vom Erstgeborenen auf Pharaos Thron
bis an der Müllerin ersten Sohn
ward vom Gerichte dort alles getroffen,
auch Mannschaft und Vieh in den Fluten ersoffen.
Bis endlich der Tag der Erlösung erschien
und Israel auszog mit großem Gewinn.
Denn Gottes Mühlen, die mahlen gar leise
Gar langsam, gar fein und auf eigene Weise.
Am Ende so bringt er`s mit Schärfe doch ein,
der Herr hat die Seinen noch niemals vergessen,
den Schmachtenden gab er einst Manna zu essen.
Doch hatte man damals nicht Mühlen mit Steinen
Um fein zur Genüge die Frucht zu zerkleinern.
Denn Mörser und Keulen ergriff man, den großen
Fruchtsegen des Himmels zu Mehl zu zerstoßen.
Allhier sind wir aber nicht mehr in den Wüsten
Und lassen uns nicht nach Ägypten gelüsten.
Hat doch der gütige Gott in dem kleinen
Ländchen hier zwischen Deister und Leinen
Über Verdienst uns und Bitten gegeben
Acker und Korn und die Mühle daneben.
Ob zwar ich nun immer wie Moses vorzeiten
Den Horeb und Sinai kann beschreiten,
so steh ich doch unter Gottes Zelt,
zu reden, was ihm wohlgefällt.
Wie manches Werkstück ist aufgewunden
Mit gutem Kalk und Zement verbunden
Das sieht der Bauherr und weiß der Meister;
Auch schimmert schon bis zum hohen Deister
Der aufgesetzte Mühlenkranz
Das edle Korn im Sonnenglanz.
Bald wird der Kopf sich drehen am Bügel
Im Winde schwirren der starke Flügel;
Die Welle rollen und das Rad
Den Mühlstein treiben früh und spat,
dass Weizen, Roggen, Hafergrütze
und was zur Leibesnotdurft nütze
für Alt und Jung hindurchspaziert
und jedermann befriedigt wird. –
Drum wollen wir den Schöpfer ehren,
der  viele Wohltat uns gewähren
und schenken will die frohe Zeit,
dass wir hier in Zufriedenheit
und mit gesunden Gliedern stehen
den Bau errichtet vor uns sehen.
Auch lassen wir den Bauherrn leben,
der uns den Auftrag hat gegeben,
samt Kindern und der lieben Frau
„Gott lass sie bei der Mühle werden grau!“

Die Wendlands Mühle (1872)
Auch diese Mühle kannte Lyra. Die Windmühle (ein Galerieholländer) am nördlichen Stadtrand wurde 1872/73 durch den Müller Wendland erbaut. Seit 1939 war sie ohne Flügel. 1954 brannte die Mühle aus, danach wurde sie als Motormühle weiter betrieben. Die Mühle war ein eindrucksvolles Bauwerk; sie bestand von unten bis oben aus unbehauenen Bruchsteinen (Gehrdener Luffen).
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