Auszug
Gelbe Heft Gehrden Nr. 19
Gehrdener Postgeschichte
Gehrden   - die jüngste Königlich Hannoversche Postspedition Vorbemerkung 

 Die erste urkundliche Erwähnung Gehrdens wird auf das Jahr 1298 datiert, als dem Ort  die  Privilegien eines „oppidum“ verliehen wurden. Die ersten Ansiedlungen sind allerdings  deutlich  älter.
 Die heutige Stadt Gehrden liegt etwa 7 km vom südwestlichen Stadtrand der niedersächsischen  Landeshauptstadt Hannover und etwa 2 km südlich der B 65, dem früheren Postkurs Hannover –  Minden entfernt. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Gehrden bekannt, als dort die erste Zuckerfabrik  des Königreiches Hannover gegründet und gebaut wurde.
 1885 zählte Gehrden ca. 1.600 Einwohner, 1949 etwa 4.500. Die heutige Samtgemeinde zählt rund  15.000 Einwohner. 
 Veranlassung für die Aufarbeitung der Gehrdener Postgeschichte gab eine Publikation des  bekannten und verdienstvollen Gehrdener Heimatforschers, Konrektor August Kageler, der   in dem  1950 erschienenen Buch zur Gehrdener Ortsgeschichte über die Anfänge der Post in Gehrden  lediglich in einem Satz zu berichten wusste: „Wahrscheinlich um 1870 wurde in Gehrden eine  Postagentur  errichtet“. Immerhin konnte diesem Buch entnommen werden, dass das  Kämmereiregister des Fleckens Gehrden aus dem Jahre 1805 für den Posten „Reisekosten und  Botenlohn“ 15 Thaler ausweist. Aus dieser kargen Angabe gehen Art und Umfang der erbrachten  Leistungen jedoch nicht hervor. 

Das Schreiben von Briefen und anderen Dokumenten in früherer Zeit oblag in der Regel professionellen Schreibern, die für staatliche, kirchliche oder private Verwaltungen tätig waren. Briefumschläge waren seinerzeit noch nicht bekannt. Die Texte wurden auf Papierbögen unterschiedlichen Formates aufgetragen, die nach Abschluss auf eine handliche Größe zusammengefaltet und häufig auf der Rückseite versiegelt wurden. Danach wurde die Adresse einschließlich der notwendigen Beförderungsvermerke auf die sich so ergebende Vorderseite geschrieben 
Das Versenden von Briefen Ende des 18. – Anfang des 19. Jahrhunderts war ein komplizierter Vorgang. Der Brief musste auf dem Postamt abgegeben werden. Die Briefgebühr konnte sowohl vom Absender (Franko-Brief) als auch vom Empfänger (Porto-Brief) gezahlt werden. Das letztere war der normale Vorgang. Beim Taxierungsvorgang (Ermittlung der Briefgebühr) wurde der Brief gewogen, gegebenenfalls gemessen und dann die Briefgebühr mit Hilfe von Gewichts- und Entfernungstabellen ermittelt. Bis Mitte der zwanziger Jahre wurden alle Briefe vom Abgangspostamt in eine Briefkarte einge-tragen und erhielten eine Kartierungsnummer.
Franko-Briefe wurden bei der Aufgabe taxiert und am Bestimmungsort nachgerechnet, im Bedarfsfall eine Änderungsmeldung gemacht (Franko-Defekt). Porto-Briefe wurden im Allgemeinen am Bestimmungsort taxiert. 
Das Aufgabedatum, die Gewichtsangabe und die zu entrichtende Briefgebühr mussten handschriftlich auf der Adressseite des Briefes vermerkt werden. Wurde die Briefgebühr vorausbezahlt, wurde auf der Adressseite  - in der Regel unten links -  der Vermerk „franco“ oder „frei“ angebracht. Der Aufgabeort wurde durch entsprechende Stempel ebenfalls auf der Briefvorderseite aufgedruckt.
War der Empfänger eines Porto-Briefes zur Zahlung der Briefgebühr nicht bereit, so wurde der Brief nicht ausgehändigt. In diesem Fall ging der Brief an das absendende Postamt zurück, das nun die Briefgebühr vom Absender einzog.
Das Königreich Hannover, 1814 als Folge des Wiener Kongresses vom Churfürstentum zum Königreich erhoben, führte durch sein General-Post-Directorium die erste Taxord-nung am 1.4.1814 ein. Weitere, geänderte Taxordnungen folgten 1818 und 1834.
Die letzte Taxordnung, veröffentlicht in No. 12 der Gesetzsammlung vom 4. Juni, nennt 11 Entfernungszonen von unter 2 Meilen bis 45 Meilen und ab da jeweils um 5 Meilen steigend. Die Gewichtseinteilung stellt sich von unter ¾ Loth bis 4 Loth in 6 Ge-wichtsstufen dar und darüber hinaus um ½ Loth steigend (1 Loth = 16,6 Gramm). Allein aus den in dieser Taxordnung tabellarisch aufgeführten Daten ergeben sich 66 verschie-dene Briefporti, deren Zahl sich noch erhöhte, wenn eine oder gar beide der tabellarisch genannten Höchstgrenzen überschritten wurde. Dies kam aber aufgrund der geografi-schen Gegebenheiten des Königreiches Hannover nur selten vor.
Bei ansteigendem Briefaufkommen lag es nahe, auf eine deutliche Vereinfachung der Briefaufgabe und der Gebührengestaltung hinzuwirken. Die diesbezüglichen Bemühun-gen des hannoverschen General-Post-Directoriums mündeten schließlich im „Gesetz, die Posttaxe betreffend“ vom 9. August 1850, dessen Einleitung wie folgt lautet: „In der Ab-sicht, die Benutzung unserer Posten zu erleichtern, erlassen wir, unter Zustimmung der allgemeinen Stände des Königreiches, das folgende Gesetz“. Ergänzt wurde das Gesetz durch die „Bekanntmachung, die Ausführung des Gesetzes über die Posttaxe vom 9. August 1850 betreffend“.
Die neuen Briefgebühren sind gekennzeichnet durch zwei wichtige Veränderungen:
1. Die bisherigen Entfernungszonen werden aufgehoben (Art.3: „Die Taxe für Brief-postsendungen soll zwischen allen Postorten ohne Rücksicht auf die Entfernung die nämliche sein“).
2.  Die Gewichtsprogression wird auf 4 Gewichtsstufen reduziert (Art. 10 und 11).
In Artikel 8 wird die Einführung von „aufzuklebenden Franko-Marken“ angekündigt, die tatsächlich jedoch erst zum 30. November 1850 an die „Briefannahmefenster“ kamen. Mit dieser Regelung hatte sich das Königreich Hannover als fünfter deutscher Staat nach Bayern (1.11.1849), Preußen (15.11.1849), Sachsen (1.7.1850) und Schleswig-Holstein (15.11.1850) einer Entwicklung angeschlossen, die bereits 1840 im Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland ihren Anfang genommen hatte.

Einen guten Einblick in die damalige Form der Postbeförderung von und nach Gehrden gibt eine Schilderung des Königlich Hannoverschen Kammerherrn Otto von Reden, geboren 1830, dessen Vater das damalige Königlich Hannoversche Oberforstamt Calenberg zu Franzburg leitete. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er u.a.:

 „Ich gedenke aber auch gern der Abende,  an denen ….. eine Abwechslung eintrat, das war  Mittwoch und Sonnabend. An diesen Tagen brachte der Stadtbote nämlich Briefe und  Zeitungen. Für den Flecken Gehrden besorgte das eine Botenfrau nur einmal wöchentlich.  Meinem Vater aber wurden, zur regelmäßigen und raschen Erledigung dienstlicher  Korrespondenz die Kosten der Besoldung eines Boten vergütet, der sogar zweimal in der  Woche nach Hannover ging und die Briefe von der Post ab-holte, die ohnedem ad infinitum  liegen blieben. Postbriefträger, die aufs Land marschierten, gab es damals nicht.
 Unser Postbote brachte also Mittwoch und Sonnabend alles, was sich in drei bis vier Tagen  an Briefen und Zeitungen in Hannover für Franzburg gesammelt hatte und es war wohl  natürlich, daß sich meine Eltern bei Ankunft des Boten mehr mit den eingegangenen  Schriftstücken als mit uns beschäftigten.
 … uns lockte nämlich die Aussicht auf interessante Erzählungen von „Baumgarten“, das  war der Stadtbote, der nach zurückgelegtem Marsch in der Küche mit Butterbrot und  Schnaps gestärkt wurde. Baumgarten hatte morgens, selbst bei fußhohem Schnee, eine  Kiepe nach Hannover zu tragen, in die war eingepackt, was Gott weiß und nicht weiß, er  hatte unzählige Besorgungen in Hannover zu verrichten und eine volle Kiepe wieder  zurückzutragen. Dafür erhielt er den damals als  hoch bezeichneten Lohn von 6  Gutengroschen (etwa 7 Silbergroschen), bekam sogar noch ein paar  Groschen mehr,  wenn er zusätzlich Botengänge machte. Mit Dienstschreiben und Paketen meines Vaters  an die benachbarten Forstämter ging Baumgarten an anderen Tagen hier morgens ab und  brachte abends Antwort zurück, z. B. von hier nach Hameln oder Hildesheim oder Nienburg  und zurück je an einem Tage ….
 …. Lesen und schreiben konnte er nicht, behielt alles Im Kopf! So ein Gedächtnis konnte es  wohl nur in einer Zeit geben, wo die natürliche, urwüchsige Kraft des Gehirns niemals  durch Bazillen schädlicher Schulstubenluft verdorben war. Böse Zungen sagten  Baumgarten nach, dass er sich beim Zusammenrechnen der von ihm in Hannover  ausgelegten Porti manchmal zu seinen Gunsten  befand sich dabei in der angenehmen  Lage, dass es unmöglich war, ihn zu kontrollieren. Freimarken gab es nämlich noch nicht,  gleiche Portosätze für alle Entfernungen erst recht nicht. Jeder  Brief, der der Post  übergeben wurde, wurde zunächst gewogen, danach pro rata des Gewichtes und der  Entfernung des Ortes seiner Bestimmung postseitig die Höhe des Portos errechnet, wenn  z. B. ein einfacher Brief von Hannover nach Celle 8 Pfennige kostete, so kostete ein  solcher nach Hamburg etwa 12 Pfennige, schwerer entsprechend mehr usw.. Das  war  recht umständlich, erforderte auch viel Ehrlichkeit des Postbeamten. Was würde wohl aus  dem heutigen Briefverkehr werden, wenn solches Vertrauen noch üblich wäre?“



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